Geplant war ein großes Fest am 23. August, doch dann kam Corona. Das Jubiläumsjahr 2020 des HBW ist ein Ausnahmejahr, das in Erinnerung bleiben wird.
Es hätte so viel zu feiern gegeben im Jubiläumsjahr der HBW Haus für Menschen mit Behinderung Wiehl GmbH: In 40 Jahren wurden neun Wohnhäuser im Oberbergischen Kreis eröffnet, das Angebot der betreuten Wohnformen installiert und ausgebaut, Rentnerbetreuungen für ältere Menschen mit Behinderung ins Leben gerufen und so vieles mehr. Auch in der Gesellschaft hat sich viel verändert. Als das erste HBW-Haus seine Türen öffnete, sprach man noch von „Heimen“ und „Behinderten“. Dass dies heute nicht mehr so ist – auch ein Grund zum Feiern! Doch dann kam Corona und das so lange geplante Fest musste auf das nächste Jahr verschoben werden. Ein Rückblick lohnt sich dennoch.
Als sich Eltern von Kindern mit Behinderung 1963 zum „Verein zur Förderung und Betreuung behinderter Kinder Oberbergischer Kreis e.V.“ zusammenschlossen, gab es in der Region weder Wohn- und Arbeitsangebote für Menschen mit Handicap noch eine Schulpflicht für Kinder mit Behinderung. Damit wollten sich die Eltern nicht zufriedengeben. Dem Verein gelang es, 1965 eine Tagesbildungsstätte für junge Menschen mit einer geistigen oder körperlichen Beeinträchtigung in Gummersbach-Derschlag zu eröffnen. 1970, nachdem die Schulpflicht auch für Menschen mit Behinderung eingeführt wurde, ging die Trägerschaft an den Oberbergischen Kreis. Damit legte der Elternverein die Hände aber nicht in den Schoss, sondern dachte weiter: Was kommt nach der Schule? Wo sollen unsere Kinder arbeiten und leben, wenn wir zu alt sind, um sie zu betreuen?
Durch die Gründung der BWO Behinderten Werkstätten Oberberg GmbH und HBW Haus für Menschen mit Behinderung Wiehl GmbH (damals: Wohnheim GmbH) schafften die engagierten Eltern fehlende Strukturen erneut selbst. 1980 war es dann soweit: Das „Haus am Konradsberg“ wurde eröffnet. 36 Bewohner und der „Heimleiter“ Ernst Süßkraut zogen ein. Sein Nachfolger, Jürgen Grafflage, wurde 1999 zum neuen Geschäftsführer und Gesamtleiter des HBW neben Dietmar Groß bestellt und übte diese Tätigkeit bis 2012 aus. Dietmar Groß war von 1986 bis 2018 Geschäftsführer des HBW. Beide bestimmten dessen rasante Entwicklung maßgeblich mit. 2011 wurde das Haus umfassend saniert – und nahm damit eine Vorreiterrolle im Kreis ein. Denn es war das erste Wohnhaus für Menschen mit Behinderung, in dem es keine Doppelzimmer mehr gab und in dem eine großflächige Tagesstruktur für verrentete Menschen mit Beeinträchtigungen angeboten wurde.
Heute leben im „Haus Am Konradsberg“ 36 zumeist ältere Menschen mit einer kognitiven und teilweise komplexen Behinderung. Auch das wäre in den Anfangsjahren nicht möglich gewesen. Der Gesetzgeber sah vor, dass Wohnplätze nur Menschen zur Verfügung stehen, die auch in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeiten. Mit Eintritt der Rente hatten sie auch die Wohneinrichtung zu verlassen. „Neben dem Arbeitsplatz auch noch das Zuhause zu verlieren – das ist eine Katastrophe“, erinnert sich Dietmar Groß, dass die Behindertenverbände Sturm liefen gegen dieses Gesetz. Eine Änderung der Rechtslage ebnete schließlich den Weg zum Konzept des „Lebenslangen Wohnens“, welches das HBW heute verfolgt. Längst gibt es eine Tagbetreuung für Rentner, die nicht nur im „Haus Am Konradsberg“, sondern auch in anderen Häusern angeboten wird.
Insgesamt neun Häuser mit verschiedenen Wohn- und Betreuungskonzepten betreibt das HBW heute in Wiehl, Waldbröl und Nümbrecht. 1998 kamen die Betreuten Wohnformen hinzu. 39 Bezugsbetreuer ermöglichen über 90 Menschen mit einer geistigen Behinderung heute das Leben in einer eigenen Wohnung oder kleinen Wohngemeinschaft. „Die Klienten lieben ihre Eigenständigkeit“, weiß Jens Kämper, heutiger Geschäftsführer des HBW. Zuletzt erweiterte der Wohnanbieter sein Angebot mit der Eröffnung des Kehlinghauses und Haus Mühlenau um zwei Häuser, die sich auf die intensive-ambulante Betreuung spezialisiert haben.
Doch trotz stetigem Wachstums muss Klaus Pütz, Vorsitzender des Vereins zur Förderung und Betreuung behinderter Kinder Oberbergischer Kreis e.V., die Frage, ob das derzeitige Wohnangebot bedarfsgerecht ist, verneinen. „Gerade für Menschen mit hohem sozialen Integrationsbedarf oder hohem Pflegebedarf haben wir kaum Reserven. Der Gesetzgeber schließt die Errichtung von neuen stationären Wohnplätze aus, die ambulanten Wohnformen sind für diesen Personenkreis aber nicht geeignet“, kritisiert er. „Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf, doch legt man dem Kostenträger entsprechende Konzepte vor, dauert es leider manchmal sehr lange, bis man mit der Umsetzung beginnen kann“, ergänzt Andreas Lamsfuß, Gesamtleiter des HBW.
Kleine Wohnformen für Menschen mit hohem Pflegebedarf und/oder hohem sozialen Integrationsbedarf zu schaffen, hat sich das HBW darum zu einer Zukunftsaufgabe gemacht. Auch die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes, das nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der Eingliederungshilfe bedeutet, wird das HBW weiter auf Trab halten. Für die Zukunft wünscht man sich, dass sich bereits im Sozialraum vorhandene Angebote für Menschen mit Behinderung öffnen, so wie es der Fußballverein „BSV Bielstein“ getan hat, als er eine Inklusionsmannschaft ins Leben rief.
Die letzten Monate waren im HBW aber vor allem von einem Thema geprägt: Corona. Fast täglich mussten neue Verordnungen umgesetzt werden, die Wohnhäuser waren abgeschottet und das Leben der Bewohner massiv eingeschränkt. Die BWO, in der viele Bewohner des HBW arbeiten, war geschlossen und die Menschen mussten rund um die Uhr in den Häusern betreut werden. „Das war nur möglich, weil Mitarbeiter der BWO bei der Betreuung unterstützt haben und weil alle zusammenhielten“, so Geschäftsführer Kämper. Der Krankenstand unter den Mitarbeitern war noch nie so gering wie in dieser Zeit. Keiner nutzte es aus, dass man sich einfach telefonisch krankschreiben lassen konnte“, lobt Andreas Lamsfuß.
Als „Schlag ins Gesicht“ empfindet er darum, dass die von Politikern medienwirksam angekündigte Corona-Prämie nur an Mitarbeiter der Altenpflege gezahlt wird. „Dass die Eingliederungshilfe und Krankenpflege leer ausgehen, ist ein Skandal und eine schlimme Ungleichbehandlung“, urteilt er und Jens Kämper ergänzt: „Bis heute hat es keinen Corona-Fall bei einem Bewohner gegeben. Das ist auch der Umsicht der Mitarbeiter zu verdanken und dafür verdienen sie Anerkennung.“ Das Jubiläumsjahr 2020 des HBW: Es ist also vor allem ein Ausnahmejahr, das in Erinnerung bleiben wird – wenn auch anders als gedacht. Und es ist ein Jahr, das zeigt, dass hier in 40 Jahren eine Einrichtung gewachsen ist, die Stürme überstehen kann, wenn sie es denn muss. Für das nächste Jahr wünscht man sich trotzdem vor allem eins: Den runden Geburtstag nachträglich mit einem schönen Fest feiern zu können.